Angst im Training I

von | Aug. 27, 2023

Angst im Training

Angst ist zunächst erstmal ein völlig normales Gefühl. Sowohl bei uns als auch beim Pferd. Es soll nun aber erstmal um den Umgang mit der Angst des Pferdes gehen.

Um im Training die Angst unseres Pferdes gut begleiten zu können, hilft es, mehr über die ablaufenden Prozesse zu wissen.

Das Pferd als Fluchttier braucht(e) für sein Überleben den Flight or Fight Instinkt. Also entweder schnell wegrennen oder, wenn das nicht möglich ist, kämpfen, bis wegrennen wieder möglich ist oder sogar bis zum Tod.
Nun haben unsere Pferde mittlerweile eigentlich keine „realen“ Gefahren mehr, vor denen sie wegrennen müssten, doch im Gehirn ist dieser Instinkt noch verankert und Angst-/ Schreck- oder Fluchtreaktionen nicht willentlich vom Pferd gesteuert.
Das ist schon der erste sehr wichtige Aspekt.
Ein Pferd hat nicht mit Absicht Angst vor etwas!

Der Flight or Fight Instinkt ist so prägend für das Pferd, dass etliche seiner Sinne und die ganze Gehirnstruktur darauf ausgerichtet sind.
Und wenn man versteht, wie Pferde wahrnehmen liegt darin schon eine ganz große Chance Angstsituationen adäquat zu begleiten.

-> 𝐒𝐭𝐫𝐚𝐟𝐞 𝐢𝐬𝐭 𝐧𝐢𝐞 𝐞𝐢𝐧 𝐠𝐮𝐭𝐞𝐫 𝐁𝐞𝐠𝐥𝐞𝐢𝐭𝐞𝐫!

Die Wahrnehmung des Pferdes – Sehen

Das Pferde anders sehen als wir ist uns bewusst. Doch es hilft, sich das nochmal ins Gedächtnis zu rufen.

Die Netzhaut (bestehend aus vielen verschiedenen Zelltypen) ist für das Sehvermögen zuständig. Wichtig für diesen Beitrag sind erstmal die Stäbchen und Zapfen.
Stäbchen werden benötigt um zB auch bei schlechten Lichtverhältnissen Bewegungen am Rand des Gesichtsfeldes wahrzunehmen. Die Netzhaut eines Pferdes enthält sehr viele Stäbchen, wodurch Pferde selbst kleinste, schnelle Bewegungen in der Peripherie ihres Gesichtsfeldes wahrnehmen.
Pferde scheuen also nicht aus dem Nichts, sondern haben etwas wahrgenommen, was wir als Mensch einfach aufgrund des Aufbaus unserer Netzhaut nicht wahrnehmen konnten. Das ganze passiert beim Pferd auch noch extrem schnell, denn Sekunden können Überlebens sichernd sein.

Pferde verlassen sich also sehr auf ihre periphere Sicht und daraus resultiert, dass sie sich manchmal scheinbar „ohne Grund“ erschrecken.
-> Versuche deine periphere Sicht zu trainieren, also auch Reize seitlich deines Gesichtsfeldes wahrzunehmen und achte ebenso auf das, was du hörst oder riechst, so fällt es dir leichter, die Wahrnehmung deines Pferdes nachzufühlen.

Die periphere Sicht ist also sehr gut. Dafür haben Pferde eine schlechtere Sehschärfe und können nicht so gut fokussieren.

Dazu kommt, dass Pferde blinde Flecken in ihrer visuellen Wahrnehmung haben: das Pferd kann nicht über seine Augenhöhe gucken ohne den Kopf zu heben und sieht nicht, was sich direkt über Hals oder Rücken oder unter Hals und Bauch oder direkt hinter ihm befindet. Ebenso die Außenseite der Hinterbeine ist kaum ersichtlich für das Pferd. (Hufe auskratzen kann hier ein Thema sein)
-> die beste Möglichkeit „zu sehen“ ergibt sich, wenn sich Objekte/ Subjekte auf horizontaler Linie auf Augenhöhe befinden.

Sich bewegende Dinge werden eher wahrgenommen, als nicht bewegende.

Ein weiterer blinder Fleck sitzt im Auge, weswegen Lebewesen ihren Kopf und ihre Augen immer leicht bewegen, um dieses Problem zu lösen. Dieser blinde Fleck ist so groß, dass bei entsprechender Distanz ganze Objekte/Subjekte darin verschwinden können. Das kann ein Vogel sein, ein Hund, ein Kind ein Blumenpott etc.

-> dem Pferd den Kopf festzuhalten oder festzubinden ist also in jeglicher Hinsicht kontraproduktiv!

Nachtsicht und Tiefenschärfe

Pferde können im Dunkeln gut genug gucken, ob auf dem Weg vom Futter zur Tränke nirgendwo gegen zu laufen und auch genug um verdächtige Bewegungen wahrzunehmen. Jedoch nicht annähernd genug, um entspannt auf den Hänger zu gehen oder gar zu springen.

Die Pupille des Pferdes benötigt relativ viel Zeit, um sich an veränderte bzw. schlechte Lichtverhältnisse anzupassen. (ca. 30-45 Minuten, das menschliche Auge benötigt nur ca. 20-25Minuten).
Prinzipiell erstmal von der Evolution gut geregelt, da die Dämmerung im Alltag genügend Zeit lässt, damit sich die Pupille an das schwindende Licht adaptieren kann.

Doch dann kommt der Mensch um die Ecke und das Pferd kommt in Situationen, wo ein schneller Wechsel von Hell nach Dunkel stattfindet. Zum Beispiel beim betreten der Stallungen, einer Reithalle oä.
Hier kann es also zu schwierigem Verhalten kommen: Pferd mag den Stall oder die Halle nicht betreten, scheut vielleicht sogar. Auch hier ist es keine Unwilligkeit, sondern lediglich der Tatsache geschuldet, dass das Auge des Pferdes sich den neuen Sichtverhältnissen nicht so schnell anpassen kann und das Pferd dann in der dunkleren Umgebung erstmal nicht so gut gucken kann.

Und auch im Gelände kann es deswegen zu Schwierigkeiten kommen. Zum Beispiel, wenn man an einem sonnigen Tag in den dich bewachsenen Wald reitet, wo es entweder deutlich dunkler ist oder sich Licht und Schatten permanent abwechseln.
–> Also nicht ärgern oder grob reagieren, sollte das Pferd in solch einer Situation unruhig werden oder scheuen.

Die Tiefenschärfe des Pferdes ist deutlich schlechter als die des Menschen. Bei einer Distanz von 5m kann der Mensch noch einen Tiefenunterschied von 3mm wahrnehmen, ein Pferd lediglich von 23cm.
Dies wird vor allem bei Dingen wie Springen oder auch im Gelände wichtig. Das Pferd versucht seine mangelnde Tiefenschärfe auszugleichen, indem es z.B. den Kopf anhebt.
–> Ausbinden oder den Kopf runter riegeln sind fatal, verschlechtern die Tiefenschärfe machen dem Pferd nur mehr Angst 

Quellen:

Jones, Janet L.: Horse Brain – Human Brain. Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft – Wie Pferd & Mensch denken, fühlen, handeln. Stuttgart. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co.KG. 2022.

Berenike

Pferd-Mensch-Trainerin und Pferdeosteopathin aus Leidenschaft

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